Nahaufnahmen menschlicher Körper, Raumansichten, Pflanzen und Tiere, Skulpturen – das Spektrum der Motive in Thibaut Henz’ fotografischen Arbeiten ist breit angelegt. Er kombiniert Aufnahmen unterschiedlicher Situationen, die zunächst ohne konkreten Zusammenhang scheinen. In der Ausschnitthaftigkeit verweist jedes einzelne Motiv nicht nur auf das Gezeigte im Bild, sondern auch auf etwas Abwesendes, das sich erst in der Betrachtung formalisiert. Im Spannungsverhältnis zwischen Präsenz und Nicht-Präsenz entsteht so ein wechselseitiges Bezugssystem, das auf etwas Dagewesenes verweist. Henz‘ Fotografien erfüllen dabei keine Repräsentationsfunktion, sondern illustrieren eine Kontingenzerfahrung von Gegenwart, die sich in einem Nebeneinander von real erfahrenen, medial vermittelten oder digital erlebten Realitäten widerspiegelt. Henz ist Teil einer Generation, deren Wahrnehmung von Welt stark von der Rezeption digitaler Bilder geprägt ist. OnlinePlattformen wie Instagram dienen in erster Linie der Darstellung multipler, erfolgreicher Selbste, sei es durch die demonstrative Zurschaustellung von Wohlstand, die Abbildung eines umfangreichen sozialen Netzwerks oder den originellen Umgang mit visuellem Material. Im Vordergrund steht stets die ästhetische Fabrikation von Singularität im Rahmen der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie. Henz’ bedient sich der Mechanismen des „visuell dargestellten Erlebens“ (Andreas Reckwitz), wobei gleichzeitig offensichtlich wird, wie wenig einzigartig (oder gar algorithmisch bedingt) die Produktion visuellen Materials ist. Das einzelne Bild in Henz’ Arbeiten ist ebenso spezifisch wie allgemein und nimmt vor allem auf ein weiteres Bild Bezug. In seiner Beschäftigung mit dem Aufkommen technischer Reproduktionsverfahren hob der Philosoph John Berger hervor, dass die Kamera die Fähigkeit besitzt, flüchtige Erscheinungen zu isolieren – im Gegensatz zum Anspruch der Malerei, universelle Bedeutungen zu repräsentieren – und dadurch die Vorstellung zerstörte, Bilder seien zeitlos. Im digitalen Zeitalter der viralen Zirkulation von Bildern ist diese Vorstellung offensichtlich: Das Bild wird zum Mittel der Darstellung und damit zur performativen Verwirklichung des Selbst. Henz setzt Schlaglicht und starke Kontraste ein, um das Bildsubjekt in das Zentrum zu rücken und gleichzeitig den Hintergrund und damit den Kontext im Unbestimmten zu lassen. Dadurch erzeugt er eine Offenheit auf der Ebene der Rezeption, die die Betrachtenden herausfordert, eigene Bezüge und Verweiszusammenhänge herzustellen. Nicht zuletzt verweist auch der starke Zoom, der die Bildausschnitte bestimmt, auf ein Paradox innerhalb der digitalen Überproduktion von Bildern: Je größer die Nähe, desto unspezifischer wird die Darstellung des Subjekts.
Juliane Bischoff